Kollaboratives Schreiben im Fremdsprachunterricht

Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde von einigen prophezeit, dass mit den neuen Medien der Beruf des Lehrers ausstirbt. Wissen ist dank des Lernraums „Internet“ rund um die Uhr überall auf der Erde verfügbar. Warum noch tröge mit einem Buch Englisch lernen, wenn ich doch direkt mit Brain aus Bristol mailen oder skypen kann? Diese Prophezeiung hat sich zum Glück nicht erfüllt. Lernen ist – wenn nicht reproduzierbares „Container-Wissen“ das Ziel ist – immer Interaktion und ein dialogischer Prozess. Auch im Praxisfeld Schule genügt es daher nicht, den Schülerinnen und Schülern lediglich Lernsoftware oder Apps zur Verfügung zu stellen. In diesem Kontext sind digitale Geräte, das Internet und (Web)Anwendungen lediglich Werkzeuge, um die Kommunikation zwischen Lernende zu ermöglichen und Lernprozesse zu initiieren bzw. zu unterstützen. Wie mit allen Methoden, sollte man auch digitale Medien und Werkzeuge im Unterricht diskutieren und reflektieren.

Etherpads bieten einen digitalen Kommunikationsraum zur Texterstellung an, der das gleichzeitige, kollaborative Schreiben ermöglicht. Dies kann orts- und zeitgleich oder auch zur Vor- und Nachbereitung orts- und zeitversetzt stattfinden.

Was ist ein Etherpad?

Ein Etherpad ist unter den Web 2.0 Anwendungen die denkbar einfachste Form zum kooperativen und kollaborativen arbeiten. Äußerlich erscheint ein Etherpad, wie ein einfaches Textverarbeitungsprogramm. Die Funktionsweise erschließt sich jedem Nutzer sofort und bedarf keiner langwierigen Einführung. Sobald der erste Nutzer anfängt etwas in das Etherpad zu tippen, erscheint diese Eingabe direkt allen anderen Nutzern, die das Etherpad geöffnet haben. Jeder Nutzer hat zudem die Möglichkeit sofort selbst Text an jeder Stelle des Dokuments einzugeben. Alle Nutzer des gleichen Etherpads können somit in Echtzeit die Entstehung des gemeinsamen Dokuments beobachten und mitgestalten. Gespeichert werden die Eingaben automatisch. Die gespeicherten Versionen stehen jederzeit zur Verfügung und können ähnlich dem Slider in Youtube vor- und zurückgespult werden. Jedem Nutzer wird zudem eine Farbe automatisch zugeordnet, so dass ersichtlich wird, wer was wann geschrieben bzw. bearbeitet hat. Neben dem Texteingabefenster befindet sich standardmäßig ein Chatfenster, dass für Absprachen, Rückfragen oder Diskussionen über den Schreibprozess genutzt werden kann. Der Chat lässt sich aber auch ausblenden.

Die Vorbereitung eines Etherpads nimmt nicht mehr Zeit ein, als die Erstellung eines Arbeitsblattes. Zur Einrichtung kann man entweder auf frei verfügbare Anbieter wie z.B. etherpad.org, titanpad.com oder zumpad.zum.de zurückgreifen, oder auf einem eigenen Server die Etherpad-Anwendung hosten, um dies dann z.B. in das Schuleigene LMS oder Wiki zu implementieren. Nach dem Öffnen lassen sich sofort Inhalte einfügen und so z.B. die Aufgabenstellung, Hinweise oder Links zu Quellen durch den Lehrenden am Vorabend einfügen.

Die Inhalte bleiben solange erhalten, wie sich das jeweilige Etherpad in der Datenbank des Servers befindet. Eine Exportfunktion in das HTML- oder Text-Format ist meist freigeschaltet. Alternativ bietet sich das einfach Copy/Paste in ein Office-Dokument an.

Erfahrungen:

Die kurze Erprobung hat gezeigt, dass der Einsatz eines Etherpads bei den Schülerinnen und Schülern eine hohe Anfangsmotivation auslöst, die sich auch durch technischen Störungen nicht absinkt. Zudem ist eine deutliche Zufriedenheit mit dem Ergebnis dieses gemeinsamen Lernprozesses feststellbar. Ebenso wird die aktive Lernzeit erhöht, da das bloße Abschreiben von Ausschnitten oder des Gesamtwerkes zur Vervielfältigung für andere Mitschüler entfällt. Im Vergleich zu anderen Methoden der kooperativen Gruppenarbeit wird dem Lehrender stärker deutlich, welche Beiträge von den einzelnen Schülerinnen und Schülern verfasst wurden und welchen Anteil sie am Ergebnis jeweils hatten. Darüber hinaus wird es durch den Slider auch möglich das Etherpad als diagnostisches Instrument für die Lerngruppe bzw. dank der Farbzuordnung für einzelne Schülerinnen und Schüler zu nutzen. In dieser Form der Begleitung des Lernprozesses stecken sicherlich noch viele ungenutzte Potenziale.

Unsere Erfahrungen zeigen, dass der Einsatz dieses digitalen Werkzeuges abschließend reflektiert werden sollte.

Einsatzmöglichkeiten im Unterricht

Die Gestaltung einer Unterrichtseinheit mit Etherpads ist ohne großen Aufwand möglich. Je nach Einsatzzweck ist dies auch in einer 45-Minuten Stunde möglich. Eine 1:1 Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit mobilen Endgeräten ist nicht unbedingt erforderlich. Es kann auch in Paaren oder Klein-Gruppen gearbeitet werden. Für erste Gehversuche mit diesem neuen Werkzeug bietet sich eine enge Zielformulierung an. Obwohl die Nutzerzahl eines Etherpads seitens der Technik nicht beschränkt ist, empfiehlt sich die Aufteilung von großen Lerngruppen auf verschiedene Etherpads. Zum einen erhöht dies die Übersichtlichkeit für die Nutzer und den Lehrenden. Des Weiteren ermöglicht dies jedem Nutzer die Möglichkeit in seinem Tempo am Schreibprozess teilzunehmen.

Beschränkungen hinsichtlich des Alters oder der Klassenstufe bestehen nicht. Berücksichtigen sollte man allerdings die Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit offenen und selbstgesteuerten Lernformen und dies bei der Gestaltung der Aufgabenstellung bzw. der Vorstrukturierung im Etherpad berücksichtigen.

Unterrichtsvor- und -nachbereitung

Im Etherpad können in Form eines Brainstorming erste Hypothesen, Kommentare zu einem aktuellen Thema, Erfahrung, Fragen, Links o.ä. durch die Schülerinnen und Schüler gesammelt werden. Ebenso ist es denkbar begleitend zum Unterricht ein Glossar oder eine gemeinsame Literatur- und Linkliste anzulegen. Darüber hinaus können kollaborativ zusammenfassende Texte, Statements oder Erörterungen als Hausaufgaben verfasst werden. (Diese können auch nicht physisch zu Hause vergessen werden.)

Einstieg

Ähnlich einem Schreibgespräch ist es möglich das Etherpad als stillem Impuls am Stundenbeginn einzusetzen und erste Vorannahmen, Fragen, Probleme u.ä. zu sammeln. Es empfiehlt sich dazu die Visualisierung des Etherpads via Beamer bzw. Whiteboard. Zur Einführung in das kollaborative Schreiben und der Methode „Etherpad“ ist es ebenso möglich, dass die Schülerinnen und Schüler sich derart am Stundenbeginn begrüßen und kurz vorstellen.

Erarbeitungsphase

Lernende können paarweise oder in einer kleinen Gruppe mit einem Gerät in bereitgestellten Material, dem Schulbuch oder im Internet zu ihrem jeweiligen Arbeitsauftrag recherchieren und die gesammelten Informationen direkt in den Schreibprozess überführen. Der Lehrende kann sich jederzeit in die Etherpads einloggen, um die Schülerinnen und Schüler zu beraten, Impulse zu geben oder eventuelle Unschärfen oder Fehler zu korrigieren. Mit letzterem sollte man sich allerdings zurückhalten, damit die Mitschreiber die Gelegenheit haben zunächst dies selbst zu tun.

Backchannel bei Vorträgen

Während Vorträgen von Schülerinnen und Schülern, eingeladenen Experten oder dem Lehrenden kann ein Etherpad als sogenannter Backchannel geschaltet werden. Darin könnte z.B. das Auditorium direkt Rückfragen zum Vortrag stellen, die ad hoc oder im Anschluss beantwortet werden. Nach einem Vortrag besteht zudem die Möglichkeit dem Vortragenden ein Feedback zu geben. Des Weiteren könnten so Experteninterviews im Vorfeld vorbereitet und strukturiert werden oder die Gliederung eines Vortrages für die Mitschüler im Vorfeld dokumentiert und ggf. um vertiefende Literatur- und Quellenhinweise erweitert werden.

Ergebnissicherung und Reflexion

Ein Etherpad kann auch begleitend zum Unterricht zur Ergebnissicherung eingesetzt werden. Dazu ist es möglich, dass z.B. zwei Schülerinnen und Schüler ein Stundenprotokoll für die Klasse erstellen, in dem die wichtigsten Thesen, Informationen und Ergebnisse gesammelt werden und den Mitschülern über den Link oder durch den Export in ein Textformat zur Verfügung gestellt wird.

Ebenso lassen sich für die Reflexion von Unterrichtsinhalten und –methoden so Feedbacks sammeln. Kopiert der Lehrende diese in ein Sammel-Etherpad sind sie für die Mitschüler zudem anonymisiert.

2 thoughts on “Kollaboratives Schreiben im Fremdsprachunterricht”

    1. Danke für das Aufgreifen der Idee und Aktualisierung. Schön, dass jemand das mal wieder ausgegraben hat.

      LG Steffen

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