Im zeitlich begrenzten Projektunterricht zum Thema „Geschichte der Menschenrechte“ erhielten 12 Schülerinnen und Schüler der Klasse 8 – 10 die Möglichkeit ihre Mitschriften digital zu verfassen. Organisatorische Hinweise und Festlegungen wurden dabei vom Lehrenden selbst ausschließlich digital verfasst und allen Schülerinnen und Schülern zugänglich gemacht. (Vorbildfunktion)
Ein Ziel des Projektunterrichts war die Gestaltung von Schülervorträgen zu freigewählten Themen innerhalb vorgegebener Meta-Themen. Darüber hinaus sollten vor allem gesellschaftliche, ethische und moralische Fragen bezüglich der historischen Entwicklung der Menschenrechte diskutiert werden.
Insgesamt gab es in dieser Unterrichtseinheit wenig vorgegebene Tafelbilder des Lehrenden. Viel mehr waren die Schülerinnen und Schüler dazu angehalten frei mitzuschreiben und ihre Gedanken, wesentliche Inhalte der Schülervorträge und von Diskussionen festzuhalten. Durch den Rückgriff auf Wikispaces.com war sichergestellt, dass die Schülerinnen und Schüler auch zu Hause jederzeit an ihre Aufzeichnungen gelangen konnten.
Das Werkzeug – Eine Wiki-Software
Wikis (hawaiisch für „schnell“) sind Hypertext basierte Systeme für Webseiten, deren Inhalte von Nutzern gelesen und vor allem direkt online bearbeitet werden können. Häufig dienen Wikis dazu kollaborativ Wissen und Erfahrungen zu sammeln und in verständlicher Form zu dokumentieren. Hierzu werden erarbeitete Texte oft mit Bildern, Grafiken oder anderen Medien ergänzt. Die bekannteste Form ist sicherlich die Wikipedia, aber auch Unternehmen setzen im Intranet zunehmend auf Wikis zur Vernetzung und Dokumentation von Wissensbeständen zwischen unterschiedlichen Standorten. Generell gilt, das Wikis im Vergleich zu einem normalen Schreibprogramm (LibreOffice, Word, Pages etc.) weniger Gestaltungsspielraum beim Layout und Design erlauben. Dies erleichtert vor allem Neulingen die Arbeit mit Wikis sehr.
Wikispaces.com bietet alle üblichen Funktionen eines Mediawiki und erlaubt das Vernetzen und Verlinken innerhalb dieser Plattform. Darüber hinaus gibt es einfache Layoutvorlagen (z.B. Collegeblock etc.) und Editoren für das Einfügen von Bildern, Grafiken, Videos und anderen Medien ohne dafür über HTML-Kenntnisse verfügen zu müssen. Der Umgang mit Wikispaces.com ist den Schülerinnen und Schüler aus dem Methodentraining bereits bekannt, so dass wir auf ihre Vorerfahrungen für diesen Versuch zurückgreifen konnten.
Erste Erfahrungen
Generell ist festzuhalten, dass die Kompetenz frei mitzuschreiben und individuell wichtige Informationen festzuhalten Klassenstufen und Medium (Hefter/Wiki) übergreifend bei vielen Schülerinnen und Schüler (noch) nicht befriedigend vorhanden ist. Wikis helfen bei der Strukturierung von Inhalten. Diese zu erstellen können sie einem Nutzer aber nicht abnehmen. Vor allem Jungs bedürfen häufig der expliziten Aufforderung durch den Lehrenden etwas mitzuschreiben. Mädchen hingegen formulieren umfangreicher und viel öfter auch für außenstehende in einer nachvollziehbaren Struktur. Hausaufgaben wurden von allen Schülerinnen und Schülern mehrheitlich am Computer erstellt und bearbeitet. (auch im Hefter).
Beispielseite:
Welche Vor-/Nachteile hat ein Wiki gegenüber einem traditionellen Hefter?
Vorteile
- Ein Wiki „zwingt“ durch seine Struktur aus Hauptseite und Unterseite eine inhaltliche Gliederung technisch automatisch auf.
- Der Inhalt einer Wiki-Seite ist strukturierter und wird von SuS stetig überarbeitet, (neu) arrangiert und den Gegebenheiten angepasst. (keine Leerräume, unfertige Tabellen etc.) So entsteht meist ein ästhetisches Gesamtbild.
- Es fällt auf, dass in den Wikis häufig umfangreicher und inhaltlich strukturierter geschrieben wurde. Im Unterricht konnte beobachtet werden, dass die Textbearbeitung (Umstellen von Wortgruppen, Rechtschreib- und Grammatikkorrektur etc.) von allen Wiki-SchülerInnen umfangreich benutzt wurde.
- Die Seiteninhalte werden von den SchülerInnen über das Unterrichtsangebot hinaus medial um Videos und Bilder erweitert.
- Zudem finden sich häufig Verweise/Verlinkungen innerhalb des Projektthemas zu Unterthemen oder Wikiseiten anderer Schüler.
- Die effektive Lernzeit im Unterricht wird durch verkürzte Sicherungsphasen (Fotos statt abschreiben) erhöht. Dies gibt vor allem mehr Raum für konstruktive Diskussionen und individuelle Themenvertiefungen.
Nachteile
- Es werden oft Fremdmaterialien mit zweifelhafter inhaltlicher Güte und lizenzrechtlich unsauberer Quellenherkunft verwendet. Hier bedarf es weiterer Medienkompetenz seitens der Schülerinnen.
- durch die Einbindung von mobilen Endgeräten wird die Möglichkeit der Ablenkung vom Unterrichtsgeschehen durch die SchülerInnen größer.
- Die Wiki-Software muss technisch von den SchülerInnen in seinen Grundfunktionen beherrscht werden. Einmalige Methodentrainings sind dafür nicht für alle SchülerInnen ausreichend.
Nach welchen Kriterien lassen sich Mitschriften in Wikis bewerten?
Die Kriterien sollten sich an denen zur Bewertung von Mitschriften in Heftern anlehnen, d.h. Gliederung, innere Struktur, Umfang und Qualität der Mitschriften, Anteil eigener Gedanken und mediale Kriterien, wie z.B. Nutzung von Medien, Quellenangaben, Kooperationen mit anderen SuS erweitert werden.
Welche Auswirkungen haben digitale SchülerInnen-Mitschriften auf den Unterricht?
Mitschriften in dieser Form erfordern eine klare Strukturierung von Unterricht. Dabei müssen Diskussions- und Unterrichtsgesprächsphasen von Mitschreibphasen strukturell getrennt werden. Das reine „Abschreiben“ von der Tafel entfällt durch Sicherung mittels Foto oder Dateiaustausch fast vollständig. Hier wird echte Lernzeit gewonnen. Durch den permanenten Anschluss an das Internet sind gängige W-Fragen nahezu überflüssig. Dieses „Wissen“ kann durch die SchülerInnen jederzeit aus dem Netz reproduziert werden. Der Lehrende gibt zum Teil Macht über das Unterrichtsgeschehen ab und hat dieses nicht mehr vollumfänglich in seinen Händen. Es ist durchaus denkbar, dass die SchülerInnen Material oder Quellen finden und in die Diskussion einbringen, das den geplanten Unterrichtsverlauf auf den Kopf stellt. An dieser Stelle ist die pädagogische Erfahrung und Flexibilität des Lehrenden gefragt.
Welche Voraussetzungen muss ein Schüler mitbringen (Kompetenzen) um effektiv ein Wiki zu führen?
Die SchülerInnen müssen die Grundfunktionen eine Wiki-Software technisch sicher beherrschen und in der Lage sein eigene Seiten und Unterseiten zu erstellen und mit Inhalten zu füllen. Dazu bietet z.B. das Methodentraining eine erste Übung.
Die SchülerInnen müssen über Grundkenntnisse in der Medienkompetenz, wie Medienwissen, Mediennutzung, Lizenzrecht, erweiterte Bedienung von Suchmaschinen etc., verfügen.
Die Kompetenz des freien Formulierens und Strukturierens eigenen Gedanken ist eine Grundvoraussetzung für das Mitschreiben im Unterricht. Diese kann nur aufgebaut, aber nicht vorausgesetzt werden. Je nach Klassenstruktur ist darauf zu achten, vor allem den Jungs Hilfestellungen anzubieten.
Welche Voraussetzungen muss ein Lehrender mitbringen?
Ein Lehrender muss bereit sein, einen Machtverlust in Kauf zunehmen, ohne dabei aber einen Autoritätsverlusts zu befürchten. Die Funktion des „Experten“ auf diesem Gebiet und das Koordinators der Lernprozesse wird den SchülerInnen überwiegend geschätzt und positiv bewertet. Der Lehrende muss noch stärker als zuvor den Unterricht strukturieren und dabei kommunikative Ruhe-, Sammel-, Gesprächs-, Schreib- und (Frei)Arbeitsphasen einplanen. Darüber hinaus sind klare Ziel- und Zeitvorgaben für die SchülerInnen nötig, damit diese sich nicht in den Weiten des virtuellen Lernraums verlieren. „Recherchiert mal dazu!“ ist keine adäquate Aufgabenstellung. Zudem empfiehlt es sich selbst über eine ausgeprägte Medienkompetenz und technisches (Grund)Verständnis zu verfügen. Zudem ist die Bereitschaft des Lehrenden von den SchülerInnen in diesem Bereich zu lernen und offen für deren Bearbeitungs- bzw. Präsentationsvorschläge zu sein für die Lernatmosphäre förderlich.
Fazit: Ist ein Wiki als Hefterersatz für einen Schüler möglich?
Ja, sofern die technische Lesbarkeit über die Schullaufbahn (evt. hinaus) gesichert ist, die Methode des freien Mitschreibens methodisch (Deutschunterricht et.al.) und technisch (Methodenlernen) beherrscht wird und die technischen Rahmenbedingungen (Wifi, Endgeräte…) es zulassen.